Fabian Raab
Bolivien – weltwärts – 2013/14
Centro Integral San Calixto – La Paz
6 Monatsbericht
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„Die Kerze brennt vor mir und ich habe nicht so richtig einen Plan was ich jetzt schreiben soll“.
Mit diesem Satz beginnt der Brief, den ich am 12. August 2013 in Katlenburg an mich selbst verfasst habe. Damals waren es noch 22 Tage bis zu meinem Abflug in München. Diesen Brief habe ich nun nach einem halben Jahr in Bolivien erhalten. Unglaublich, wie schnell doch wieder einmal die Zeit vergangen ist. Der Rest des Briefes ist nicht weiter erwähnenswert, da ich in diesem Moment wohl wirklich ziemlich ratlos war, was ich mir in die Zukunft schicken sollte. Trotzdem eine schöne Idee.
Wie lief deine Einarbeitung und läuft deine Entwicklung im Projekt?
Die Einarbeitung lief bis auf die anfänglichen Sprachprobleme ziemlich problemlos ab. Zu Beginn wurde ich langsam an den Tagesablauf herangeführt. Mit der Zeit konnte ich dann immer mehr Verantwortung übernehmen und mittlerweile kann ich schon „alleine laufen“. Die Entwicklung ist stetig und so werden mir je nach Bedarf immer wieder neue Aufgaben zugeteilt.
Hast du das Gefühl, zum Gelingen des Projekts beizutragen und dazuzulernen?
(Wie siehst du dich und deine Rolle nach einem halben Jahr im Projekt?)
Bis jetzt fühle ich mich immer noch als vollwertiges Teammitglied und ich denke, ein Team funktioniert nur wenn jedes Mitglied gleichermaßen etwas zu der gemeinsamen Arbeit beiträgt. „Man lernt nie aus“, diesen Satz finde ich für das Leben auf einem anderen Kontinent besonders treffend. Die Lebensweise einer unterschiedlichen Kultur beeinflusst natürlich auch die Arbeit der Menschen, und so stoße ich immer wieder auf Situationen, die ich nicht unbedingt als positiv empfinde, aus denen ich jedoch lernen und wachsen kann. Nach 6 Monaten ist man natürlich schon gut „akklimatisiert“ und weiß in den meisten Fällen schon, „wie der Hase läuft“.
Wie ist die Zusammenarbeit mit deiner Ansprechperson im Projekt?
Die Zusammenarbeit mit meiner Ansprechperson, welche gleichzeitig meine Chefin ist, würde ich als familiär und professionell bezeichnen. Wir sehen uns jeden Arbeitstag im Projekt und dementsprechend kommunizieren wir auch jeden Tag miteinander. Der Umgang ist freundlich und offen. Meine Ansprechperson hinterfragt regelmäßig mein Wohlbefinden aber auch Probleme werden direkt thematisiert. Ich denke unter diesen Umständen kann ich diese Zusammenarbeit durchaus als gelungen und angemessen beschreiben.
Was hast du dir für Ziele für deine verbleibende Zeit im Projekt gesetzt?
In meinem Fall habe ich in den ersten 6 Monaten wahnsinnig viel von meinem Projekt und Bolivien erhalten. Ich habe eine neue Sprache und damit auch eine neue Kultur kennengelernt. Für die verbleibende Zeit, habe ich mir vorgenommen, so viel wie möglich zurückzugeben und die erworbenen Fähigkeiten sinnvoll anzuwenden. Das soll natürlich nicht bedeuten, dass ich in den ersten 6 Monaten nichts gegeben habe aber ich denke erst wenn man so richtig eingelebt ist, kann man die Kapazitäten komplett ausnutzen.
In den kommenden Monaten möchte ich noch einige kleiner und größere Projekte durchführen. Zum Beispiel möchte ich der Kindertagesstätte in meiner Einrichtung einen neuen Anstrich verpassen. Ich denke die Durchführung solcher Projekte ist für jeden Einzelnen mehr oder weniger wichtig, da es mit der „verbleibenden Zeit“, in gewissermaßen ja schon wieder auf das Ende diesen Jahres zu geht und der Mensch auch was hinterlassen möchte.
Fühlst du dich wohl in deiner Gastsituation?
Mit meiner Gastsituation bin ich bisher sehr zufrieden. Die Kommunikation wird durch mein wachsendes Sprachverständnis immer einfacher und besser. Mein Leben in meiner Gastfamilie würde ich als ausbalanciert bezeichnen. Zum Einen habe ich die Freiheiten, die ich brauche und zum Anderen habe ich trotzdem einen Rückzugsort und Menschen die für mich da sind.
Hast du Freunde gefunden?
Mittlerweile habe ich in sämtlichen Lebensbereichen Menschen kennengelernt, die mir ans Herz gewachsen sind. Einige davon werden mir auf meinem Lebensweg hoffentlich noch öfter begegnen. Lange Rede, kurzer Sinn – ja.
Hast du schon einen „Alltag“?
Der Alltag hat mich definitiv schon eingeholt, auch wenn es wohl länger gedauert hat als erwartet. Die ersten 3 Monate hat mich vermutlich ein unbestimmtes „Urlaubsgefühl“ begleitet. Erst zwischen dem 3 und dem 6 Monat hat sich dann irgendwann der Alltag eingestellt und er ist alles andere als grau. Ich denke, fast Jedem ist „der graue Alltag“ ein Begriff. Ein „Alltag“ ist meiner Meinung nach jedoch nicht grundsätzlich negativ. Ein „bunter“ Alltag bzw. eine gewisse Routine hilft dabei, sich auf diverse Ziele zu konzentrieren und bestimmte Sachen umzusetzen.
Was für Herausforderungen gab/gibt es? Wie hast du diese bewältigt?
Was sind deine kleinen „Erfolge“? Was möchtest du ändern?
Die größten Herausforderungen gibt es für mich in der sozialen Arbeit. Hierbei sind die Unterschiede in den von mir erlebten Umständen gravierend. Sicher gibt es in Deutschland, wo ich u.a. meine Ausbildung zum Heilerziehungspfleger absolviert habe, auch genügend soziale Missstände und ich bin im Vorfeld schon von anderen Zuständen ausgegangen. Dennoch ist es dann immer etwas anderes, wenn man solche Unterschiede direkt erlebt, egal wie scheinbar gut man sich darauf eingestellt hat. Zum Beispiel habe ich schon des Öfteren erlebt, das Menschen auf der Straße liegen und sich scheinbar Niemand dafür interessiert, wie es diesen Menschen geht bzw. hilft. Das liegt wohl auch daran, dass hier die meisten medizinischen Behandlungen bar bezahlt werden müssen und Keiner für diese Menschen bezahlen möchte oder kann. Des Weiteren habe ich schon Kinder mit Behinderungen gesehen, die gefesselt wurden, anstatt, dass sich das Personal sinnvoll mit den Klienten beschäftigt. Das sind Beispiele um meine Herausforderungen deutlich zu machen. Natürlich habe ich hier auch schon viele schöne Momente auf der Straße und in verschiedenen Projekten erlebt.
Meiner Meinung nach kann man manche Sachen bewältigen und manche nicht. Manche Sachen kann man kurzfristig und manche Sachen kann man längerfristig ändern. Grundsätzlich darf man Bewältigung nicht mit Akzeptanz verwechseln. Viele Dinge habe ich durch einfache Kommunikation bewältigt. Indem ich diverse Sachen einfach sachlich angesprochen habe und dabei meine Sicht der Dinge dargestellt habe. Diese Vorgehensweise funktioniert aber nur, wenn die Empfänger ein offenes Ohr haben und offen für Veränderungen sind. Die westliche bzw. meine deutsche Sicht muss dabei natürlich nicht immer richtig sein und es ist deswegen genauso wichtig selbst ein offenes Ohr zu haben um zu verstehen und nicht zum forcierenden Missionar zu werden. Somit habe ich bis jetzt manche Herausforderungen bewältigt und manche nicht. Einige davon werde ich vielleicht auch nie bewältigen können aber trotzdem versuche ich weiterhin die Dinge nicht so zu akzeptieren wie sie sind.
Schon während meiner Ausbildung in Deutschland habe ich gelernt, dass der Erfolg bei der Arbeit mit Menschen oft in den kleinen Schritten liegt und eigentlich spielt es ja auch keine Rolle welche Art von Erfolg man hat, oder?
So freue ich mich, wenn ich andere Menschen zum Lachen bringen kann oder Ihnen auf irgendeine Art weiterhelfen kann. Zum Beispiel wenn ich einem Kleinkind das Kuscheltier aus dem Regal geben kann, an das es selbst nicht heran kommt oder wenn Menschen mit Einschränkungen plötzlich beim „wilden“ Musizieren aufblühen.
Langfristig würde ich gerne so einiges ändern. Bildung und Ausbildung muss für Jeden zugänglich sein, egal ob reich oder arm. Ich bin davon überzeugt, dass ein verstärkter Fokus auf diesen Weg den Menschen und Ländern helfen würde, die Lebensumstände grundlegend zu verbessern. Dabei ist es auch wichtig Spendengelder sinnvoll und fair zu verteilen. Es ist traurig wie viele Spendengelder veruntreut oder für bürokratische Undinge verschwendet werden, anstatt die Bedürftigen auch nur annähernd zu erreichen. Dazu müsste man natürlich die Korruption abschaffen und die gewaltsamen Mächte wie das Militär zumindest verringern. Denn mit Gewalt erzeugt man nur Gegengewalt und wie soll somit ein friedliches Zusammenleben zustande kommen? Ich weiß, das sind alles „große“ Dinge, die man theoretisch alleine nicht ändern kann. Und trotzdem verändert man etwas, indem man sich selbst verändert und somit zusammen mit seinen Mitmenschen, wenn auch „nur“ in kleinen Schritten, voran kommt.
Wie hat sich deine Wahrnehmung bezüglich des Gastlandes seit deiner Ankunft/deinem letzten Bericht geändert?
Meine Wahrnehmung hat sich insofern geändert, dass ich jetzt mein Gastland wirklich als „mein“ Gastland wahrnehme. Durch das bereits oben genannte „Urlaubsgefühl“ in den ersten Monaten meines Aufenthaltes, habe ich mich immer auch einbischen fremd gefühlt. Nach 6 Monaten kann ich jetzt von mir behaupten, dass Bolivien ein Teil von mir und ich ein Teil von Bolivien geworden bin.
Was verstehst du mittlerweile besser oder anders?
Zum Einen natürlich ganz klar die Sprache aber auch das Leben und die Kultur. Zusammenhänge werden langsam aber sicher sichtbar und auch die politische Struktur des Landes wird immer begreiflicher, auch wenn vieles gerade deshalb umso unbegreiflicher ist. Die unterschiedlichsten Konflikte haben plötzlich einen Hintergrund und man erwischt sich selbst dabei, wie man mit verschiedenen Seiten sympathisiert.
Dennoch gibt es noch viele Sachen zu verstehen und ich freue mich auf die weiteren Monate, in denen ich hoffentlich noch viel erleben und enträtseln werde.
Bei Fragen, Anregungen und Kritiken stehe ich euch gerne zur Verfuegung.
Fabi